War Gabriel Sedlmayr der Jüngere der erste Craft Beer Brauer?

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Eine nicht ganz ernst gemeinte Geschichte über ein besonderes Bier

Nach der Englandreise von 1834 wollte Gabriel Sedlmayr der Jüngere (im Weiteren kurz Sedlmayr) natürlich sein neu erworbenes Wissen anwenden. Dazu gehörte auch, ein schottisches Ale zu brauen. Mit einer Stammwürze von „20-25% B“ (B= Balling) war das ein „Strong Ale“. Heute würde man es vermutlich „Imperial India Pale Ale“ nennen und es als Craft Beer verkaufen.

Schottisches Strong Ale

Im Königreich Bayern musste das Brauen von „Strong Ale“ natürlich erst genehmigt werden. Beworben (dergleichen fiel unter das Biersatzregulativ*) hatte sich Sedlmayr mit der Begründung er „…sei im Stande, ein Getränk herzustellen, das dem englischen und schottischen Ale weder an Klarheit, noch Güte, noch Wohlgeschmack nachsteht, ja von Kennern und selbst geborenen Engländern oft schon dem Echten vorgezogen worden ist. Es habe, mäßig genossen, wegen seiner Stärke einen höchst wohltätigen Einfluss auf den menschlichen Körper.“

Am 3.12.1847 bekam er von der Kreisregierung die offizielle Genehmigung, dieses Ale zum doppelten Preis des Sommerbieres zu verkaufen.

 „Das vorgelegte Ale ist in Ansehung der Farbe, Lauterkeit, des Glanzes, Wohlgeschmackes und des Gehaltes als ein ganz vorzügliches und wohlgelungenes Fabrikat der Bierbrauerei zu erklären….Ale ist…. ein Kunsterzeugnis hoher Art … man trinkt es, wer es versteht, nicht aus Maßkrügen, sondern …. wie Wein. Es ist auch dem letzten weit ähnlicher als dem Bier und kann gut als Malzwein bezeichnet werden.“ 

(Kommission mit Professor Cajetan Kaiser, die wohlwollend Sedlmayrs Antrag auf eine Braugenehmigung für Ale unterstützte. 10.03.1847)

Barley Wine, oder Ale, wie es Gabriel Sedlmayr der Jüngere nannte, Craftbeer in München? Mitte des 19. Jahrhunderts?

Wie kam die Kommission zu diesem Urteil und wie hat man seinerzeit verkostet? Wenn man die alten Bücher durchschaut, fallen gewisse Parallelen zu heutigen Praktiken schon auf.

Johann-Wilhelm-Preyer Bockbierstilleben

Die Bierverkostung, Kiesen von Bier

Vergleicht man „Die im Auftrag der Regierung vom Politechnischen Verein und zwar von Prof. Kaiser, Gabriel Sedlmayr, und Privatier Karl Pfändler ausgearbeitete neue Bierkieseordnung….“ (25.01.1856) mit den aktuellen Verkostungstipps des deutschen Brauerbundes, werden Gemeinsamkeiten deutlich.

Die Bierkieseordnung hat insgesamt 11 Paragrafen. Ein paar davon betrachten wir uns hier mal näher.

Bierkieseordnung
Brauerbund:

§ 4:

„Bei der Bierbeschau selbst haben die dafür aufgestellten Männer zuerst zur vollständigen Reinigung des Geschmackes ein mäßiges Stück Brot – aber ohne Salz und ohne Kümmel – zu genießen, dann in den Schenk- oder Lagerkellern das Bier in einem von außen und innen reinlichem Glase zu empfangen. Dasselbe zuerst zu besichtigen und hernach zu verkosten.

 Tipps zur Vorbereitung

Verwenden Sie einheitliche, mit klarem Wasser ausgespülte Gläser.

Halten Sie zur Geschmacksneutralisierung Knäcke- oder Weißbrot bereit.

$ 5:

Bei der Besichtigung der Biere hat der Beschauer zu beobachten: die Farbe der Biere, ob hell oder dunkelweingelb, bräunlich oder braun? – die Lauterkeit, ob klar oder unklar, und in letzterem Falle ob staubig oder trübe? – den Glanz, ob glänzend oder glanzlos? – den Schaum, ob schäumend oder nicht schäumend und in ersterem Falle, ob der Schaum dicht oder dünn oder großblasig ist?-

Gleichzeitig ist dabei auch der Geruch der Biere zu beobachten, ob er von guter oder fehlerhafter Vergährung zeigt, weinicht oder hefenartig oder säuerlich ist? Dies gibt sich deutlicher zu erkennen, wenn man das Bier im Gefäße eine kurze Zeit auf einen warmen Ofen oder in warmes Wasser stellt und bis auf 25 bis 30°R warm werden lässt.“ (R = Reamur, 1° Reamur = 1,25° Celsius)

Die Farbe des Bieres

Halten Sie das Bierglas gegen eine weiße Wand. So können Sie besonders gut die Farbe des Bieres beurteilen. Je nach Sorte reicht das Farbspektrum von einem lichten Hellgelb über Goldgelb bis hin zu einem warmen Dunkelbraun und einem kräftigen Schwarz

Die Klarheit des Bieres

Filtrierte, „blanke“ Biere sollten normalerweise einen feinen Glanz aufweisen, also keinerlei natürliche Trübstoffe enthalten. Anders bei unfiltrierten oder naturtrüben Bieren (Z.B. Hefeweizen oder Zwickelbier): bei ihnen sollten die Trübstoffe sichtbar sein.

Wie können Sie die Klarheit beschreiben?

Glanzfein, blank, leicht opal (beginnende Trübung), opal, gleichmäßig trüb.

 

§7:

Gutes wohlgegorenes und gut aufbewahrtes Bier bewirkt bei solcher Prüfung schnell im Gaumen eine kitzelnde (prickelnde Empfindung, welche von der durch die Mundwärme ausströmenden Kohlensäure herstammt – dieser folgt dann an den Zungenrändern merkliche Wärme nach, die sich bald über den ganzen Gaumen ausbreitet und zwar um so stärker, je mehr Weingeist ein Bier in sich führt – endlich schlägt sich auf dem Rücken der Zunge eine Bitterkeit nieder, die besonders bei dunklen Bieren um so stärker ist, und wenn sie dem Geschmacke einer stark gebräunten Brotrinde gleichkommt, nicht vom Hopfen, sondern vom gebräunten Malz herstammt. Eine zähe schleimige Empfindung erregen die lange gesottenen, viel Malzgummi führenden „dicken“ Biere, welchen die feinen, mehr Weingeist führenden Biere gegenüber stehen.

Der Biergeschmack

Nun endlich dürfen Sie ihr Bier trinken! Bei der Beschreibung des Geschmackseindrucks sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt. So kann die Empfindung des Antrunks von „vollmundig“ bis „leicht“ reichen, die der Rezenz von „angenehm“ bis „prickelnd“ und die des Nachtrunks von „feinherb“ bis „harmonisch“

Wie können Sie den Geschmack beschreiben?

Antrunk:

leicht, schlank, weich, süffig, abgerundet, sortentypisch, süffig, vollmundig, malzaromatisch, röstmalzaromatisch, schwer, würzeartig.

Rezenz:

angenehm, spritzig, prickelnd, moussierend, lebendig, frisch, rezent.

Nachtrunk:

Ausgewogen harmonisch, ausklingend, rund, kräftig betont, trocken, nicht anhängend, feinherb, feinbitter.

 

Die Bierkieseordnung war eine Anleitung für Profis, wie sie Bier zu verkosten hatten, während die Tipps des Brauerbundes unverbindlich für alle Bierfreunde sind. So spricht der Brauerbund auch nicht von Fehlaromen, während es die Aufgabe der Bierkieser war, das Bier zu testen und die Güte zu bewerten, fehlerhaftes Bier zu finden und dann die dafür vorgesehenen Maßnahmen einzuleiten.

Festzuhalten bleibt, dass Mitte des 19. Jahrhunderts das nötige Wissen für professionelle Bierverkostungen vorhanden war.

War Sedlmayrs Tafelbier ein Craftbeer?

Um diese Frage beantworten zu können, brauchen wir eine Art Definition, was Craft Beer überhaupt ist.  Bei den „Hopfenhelden“ findet man folgendes:

Craft Beer zeigt Gesicht:
Es gibt bei Craft Beer immer einen Menschen, einen Gründer, Brauer, Macher, der für die Marke und das Produkt einsteht.

Sedlmayr war in Deutschland wohl der bekannteste Brauer seiner Zeit und stand natürlich für sein Produkt.

Craft Beer ist unabhängig:
Ähnlich wie die Brewers Association denken auch wir, dass Craft Brauereien nicht Teil großer Konzerne sein sollten.

Spaten war 1874 unter Sedlmayrs Führung die größte Münchener Brauerei und unabhängig.

Craft Beer ist kreativ:
Wer immer nur ein Helles braut, weil sich das so gut verkauft, der ist nicht kreativ. Es ist aber auch nicht kreativ, nur ein IPA zu brauen. Kreativ heißt, besondere Biere zu wagen, zu variieren, neu zu denken.

Kreativ war Sedlmayr, zusammen mit Dreher bei der Erfindung des Lagerbieres in den 30er und 40er Jahren des 19. Jahrhunderts.

1865 baute sich Sedlmayr ein Versuchsbräuhäusl wo er unter dem Namen Tafelbier weiter sein Ale braute, mal mit Dekoktion, mal mit Infusion, mal obergärig, mal untergärig. Es wurde auch Böhmisches- und Wiener Lagerbier, mal mit Wiener Malz, mal mit selbsterzeugtem Malz und noch vieles mehr gebraut.

Craft Beer ist „Handwerk“:
Natürlich arbeiten Craft Brauer mit modernster Technik und „Handwerk“ soll sich nicht auf das Rühren von Hand beziehen, sondern auf die Verwendung natürlicher Zutaten.

Als Sedlmayr 1842 den Spaten Bräu übernahm war noch sehr viel Handarbeit im Spiel. Die Zutaten waren von wechselnder Qualität. Es wurden aber nur die bestmöglichen verwendet, vor allem aus dem heimischen Markt. Man hatte aber auch keine Berührungsängste mit tschechischen (Saazer,) oder englischen Hopfen (aus der Grafschaft Kent) und österreichischem Malz.

Craft Beer schmeckt:
Nicht immer jedem. Aber grundsätzlich müssen die Produkte einer Craft Brauerei schon überzeugen, damit wir sie in unserem Sinne als Craft Brauerei wahrnehmen.

Das schottische Strongale, hätte man sicher auch heutzutage als überzeugendes Craftbeer wahrgenommen.

 Es ist gar nicht so leicht, eine brauchbare Definition für Craft Beer zu finden. Je mehr man in die Materie Craft Beer eintaucht um so weniger greifbar wird sie. Das hat aber auch sein Gutes. Mysteriöses mit einem Hang zur Kunst lässt sich halt leichter verkaufen.

Gabriel Sedlmayr der Jüngere
Gabriel Sedlmayr der Jüngere

War Sedlmayr also ein Craft Beer Brauer?

Nach der oben genannten Definition der Hopfenhelden wohl ja, aber ich denke nicht. Das schottische Ale hat er nicht gebraut um etwas neues, kreatives zu brauen, sondern um sich selbst und allen Anderen zu beweisen, dass er dazu in Lage war, es zu brauen.

Sedlmayr ging es darum gutes und vor allem bekömmliches Bier für Jedermann zu brauen. Abschreckende Beispiele für schlechtes Bier hatte er auf seinen Reisen genug gesehen.

Sedlmayr war hierzulande einer der ersten Industriellen im Braugewerbe und somit aus meiner Sicht auch kein Craft Beer Brauer, wobei Anderen die Größe einer Brauerei ja scheinbar egal ist, wenn man bedenkt, dass z.B: die Sierra Nevada Brewery unter Ken Grossmann 2018 die zehntgrößte Brauerei in den USA war. Das Sierra Nevada Pale Ale ist eines der weltweit bekanntesten Craftbeers.

Viele dieser Craft Beer Stiles, die seit einiger Zeit aus den USA zu uns kommen, gab es schon zu Sedlmayrs Zeit. Sedlmayers Freund Michael Bass hatte mit der Bass Brewery in Burton-on-Trend, England 1877 die größte Brauerei der Welt. Bass war sozusagen ein Synonym für Pale Ale.

Wie man sieht, war so manches schon einmal da, oder ist es noch. Man hat der Sache nur einen anderen Namen gegeben.

Letzten Endes lässt sich die Frage, ob Sedlmayr ein Craft Beer Brauer war, nicht eindeutig beantworten. Wichtig war es aber, zu zeigen was es Mitte des 19. Jahrhunderts schon alles gab und wozu man in der Lage war.

Resümee

  • Sedlmayr war in der Lage ein Craft Beer zu brauen, das heutigen Ansprüchen genügen würde.
  • Man führte Mitte des 19. Jahrhunderts professionelle Bierverkostungen durch.
  • Craft Beer Definitionen sind schwierig.
  • Craft Beer schmeckt gut, macht aber viel Arbeit.
  • Sedlmayr war eher kein Craft Beer Brauer.

Das Biersatzregulativ.*

Christian Schäder: 

„Das letzte Jahrhundert (gemeint ist das 19.) war jedoch gerade für die bayerische Brauwirtschaft von extremen staatlichen Zwängen gezeichnet. Den Kern dieser Entwicklung stellte das „Biersatzregulativ“ vom 25. April 1811 dar. In diesem wurden der Biersatz (=Bierpreis) im Königreich Bayern sowie die Regelung des Dreiecksverhältnisses Brauer-Wirt-Konsument festgelegt. Das Regulativ beinhaltete umfassende Einschränkungen der unternehmerischen Freiheiten.“

Man ging 1811 von 4,53 Pfennig Fixkosten pro Maß Bier aus. „Als Unternehmerlohn für die Brauer wurden 1,47 Pfennig aufgeschlagen, so dass sich ein Grundpreis für die Maß Bier von sechs Pfennig ergab. Dem Grundpreis wurden die variablen Kosten hinzugerechnet.“

 

Eine positive Nebenwirkung des Regulativs, die bis heute wirkt, war das Verbot für die Brauer, in den Biergärten die Gäste zu verköstigen. Daher kam der Brauch, sich das Essen selbst mitzubringen.

 

Literaturliste

  1. Fritz Sedlmayr: Geschichte der Spatenbrauerei und Braugeschichtliche Beiträge, 1807-1874, Band 2 von 2, Hans Carl Verlag Nürnberg 1951
  2. https://www.hopfenhelden.de/
  3. https://www.brauer-bund.de/bier-ist-genuss/bierverkostung-zu-hause.html
  4. Christian Schäder: Münchner Brauindustrie 1871-1945, Tectum Verlag, Marburg 1999, ISBN 3-8288-8009-6

 

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