Pilsener Urquell Erfindung oder Zufall?

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Heute vor 175 Jahren wurde zum ersten Mal Pilsener Urquell ausgeschenkt. Als Erfinder des Pilsener Bieres gilt der bayerische Braumeister Josef Groll. Doch hat er es wirklich erfunden? Oder war es eine glückliche Aneinanderreihung von Zufällen, wie es Professor Jalowetz aus Wien in seinem 1929 erschienenem Buch „Pilsener Bier“ erwähnt:

„Es ist ein Zufallsprodukt von ausgezeichneter Güte“ und später: „das erzeugte Bier ……. war sicherlich für alle, auch für Meister Groll, eine Überraschung …… und: …. der Zufall brachte eine recht angenehme Überraschung“.

Zufall? Überraschung? Das mag ich nicht so recht glauben.

Im Jahre 1838 hatte man auf dem Marktplatz in Pilsen 36 Fässer obergäriges Bier vernichtet. Die Bierqualität hatte sich in den Jahren davor immer mehr verschlechtert und irgendwann hatte man genug. Man möchte sich nicht vorstellen, wie das dunkle, trübe, vermutlich schaumlose Gesöff geschmeckt haben mag: Modrig, rauchig, schwefelig, lasch, sauer. Jedenfalls bedurfte es schon eines gewichtigen Grundes, so eine Biervernichtung zu veranstalten.

Die Pilsener Bürger, die im Besitz eines Braurechtes waren, schlossen sich zusammen und vereinbarten 1839 den Bau eines modernen Brauhauses.

Jalowetz: “Die Bürger bezweckten mit dem Neubau der Brauerei die Erzeugung eines Bieres nach bayerischer Art“.

Der junge Baumeister Martin Stelzer wurde 1839 mit dem Bau beauftragt, ein Jahr später erfolgte die Grundsteinlegung. Stelzer informierte sich über modernste Brauereitechnik in Bayern. Es heißt, dass er spätestens 1842 den Niederbayerischen Braumeister Josef Groll (* 21. August 1813 in Vilshofen; † 22. November 1887 ebenda) hinzuzog, der bei der weiteren Einrichtung des Bürgerlichen Brauhauses behilflich war.

Hatte es vor seiner Abreise Streit gegeben, weil er, Josef (oben links) die väterliche Brauerei in Vilshofen nicht übernehmen wollte? Hat ihn sein Vater deswegen den “gröbsten aller Bayern genannt”? Jedenfalls reiste Josef Groll mit der Kutsche ins 160 km nördlich gelegene Pilsen an, wo er am 5. Oktober 1842 den ersten Sud Pilsener Urquell braute.

Zum besseren Verständnis des Folgenden machen wir einen kleinen Abstecher nach England. England als Mutterland der Industrialisierung war dem Kontinent, was das Brauwesen anbelangte, über eine Generation voraus.

Hirschfelder/ Trummer: „An der Wende zum 19. Jahrhundert verfügte England (…) über ein industrielles Brauwesen, mit standardisierten Verfahren und Kontrollen, das den wachsenden Markt mit preiswerter und qualitätssicherer Ware bedienen konnte“.

Deutschland, z.B. wurde erst nach der Reichsgründung von 1871 zum Industrieland. Zwei befreundete Genies, Gabriel Sedlmayr aus Bayern und Anton Dreher aus Österreich (Lederer aus Nürnberg und Meindl aus Braunau fuhren schon am 12. Oktober 1834 wieder heim) hatten 1833/34 England und Schottland bereist und neueste Erkenntnisse mit nach Hause gebracht, insbesondere was die Mälzerei betraf. Wie sie zu diesen Erkenntnissen gelangten, ist ein eigenes Kapitel europäischer Brauereigeschichte; heute würde man es als Industriespionage bezeichnen.

Was war sonst noch in der Welt los, Mitte des 19. Jahrhunderts?

Anton Dreher hatte 1841 sein Wiener Lager erstmals ausgeschenkt, der große Oregon Trail machte sich 1842 auf den Weg in den Wilden Westen der Vereinigten Staaten, Kaiser Franz Josef kam 1848 mit erst 18 Jahren in Österreich auf den Thron und in Deutschland tagte nach der Märzrevolution das Frankfurter Paulskirchenparlament.

Bill Brysen, beschreibt die Zeit in seinem lesenswerten Buch “eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge” so:

“….. konzentriert sich das, was nun folgt, hauptsächlich auf die letzten 150 Jahre, mit besonderer Betonung auf die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts, als die moderne Welt wirklich geboren wurde ………. Wir haben uns so an die Annehmlichkeiten gewöhnt – es warm zu haben, sauber gewaschen und wohlgenährt zu sein -, dass wir eines leicht vergessen: All diese Errungenschaften sind noch gar nicht so alt. Es hat Ewigkeiten gedauert, bis wir so weit waren, und dann kam meist alles auf einmal.”

 

Was hat Groll damals vorgefunden in Pilsen?

Die neu erbaute Brauerei war das Modernste, was die Zeit zu bieten hatte.

Jalowetz: “Besondere Beachtung verdient die nach englischem System eingerichtete Malzdörre und eine Schrotmühle, welche aus Eisen nach amerikanischem System gebaut ist”.

Und was waren das für Rohstoffe, die in ihrer Kombination zum ersten Pils der Biergeschichte geführt haben?

  1. Das Malz:

Das helle Malz wurde von Anfang an selbst produziert und der Brauvorgang mit dreifacher Dekoktion perfekt auf das eigene Malz angepasst. Dreifache Dekoktion war damals das Standard-Brauverfahren in Bayern. Bei der Dekoktion entnimmt man beim Maischen Teilmengen kocht sie und gibt sie zurück in die Maische. Durch das Kochen karamellisiert das Malz etwas und führt so zu der goldenen Farbe und Vollmundigkeit des Pilsener Urquells. Diese Kombination von Mälzen und Maischen ist nur schwer oder gar nicht kopierbar, weshalb das Bier bis heute auch kaum nachzubrauen ist.

Groll wird das Malz probiert haben, die hellere Malzfarbe muss ihm aufgefallen sein. Bayerisches Malz war in der Regel dunkler. Somit wird er auch mit einem helleren, als dem bayerischen Bier gerechnet haben.

(unten die Original Pfanne in der der erste Sud gebraut wurde)

 

  1. Die Hefe:

Vor Josef Groll war die Hefe in Pilsen obergärig. Schon beim Bau der neuen Brauerei hatte man begonnen, unterirdische Felsengänge für die kalte Lagerung von untergärigem Bier weiter auszubauen. Man hat da sicher nach Österreich und Bayern geschielt, wo die beiden genannten Experten Anton Dreher und Gabriel Sedlmayr am Werk waren. Untergärige Hefe produziert so gut wie keine unerwünschten Nebenprodukte in Form von Estern, die Aromen ins Bier bringen, die man damals nicht mehr wollte. Man konnte die untergärigen Biere in den Felsenkellern bei konstanten 5-7° C länger lagern. Es ist anzunehmen, dass Groll die Hefe selber mitgebracht hat. In Vilshofen hat er wie schon sein Vater ja auch untergärig gebraut.

  1. Wasser:

Das Pilsener Wasser ist sehr weich und war damit wie geschaffen für die für damals ungewöhnlich hohe Zahl von geschätzten 40 Bittereinheiten des Urquells (International Bitter Units). Natürlich waren 1842 Bittereinheiten (heute gemessen in IBU = International Bitter Units) noch nicht bekannt und es ist der Erfahrung Grolls geschuldet, dass das Bier eine angenehme Bittere bekommen hat. Hätte man das gleiche Rezept damals in München, mit seinem sehr harten Wasser gebraut, wäre das Bier vermutlich ungenießbar geworden.

  1. Hopfen:

Saazer Hopfen war weithin über die Grenzen Tschechiens bekannt und im Einsatz. Saazer ist ein Aromahopfen mit niedrigen Alphawerten, was zu angenehmer runder Bittere im Bier führt.

Dr. Dietmar Kaltner: „Saazer zeichnet sich durch ein blumiges frisches, leicht citrusartiges Hopfenaroma aus.“

Das Bisherige zusammengefasst, war die Erfindung des Pilsener Bieres also keineswegs eine Überraschung oder gar Zufall. Es war die Kombination von besten tschechischen Rohstoffen, untergäriger Hefe und bayerischer Brauart, und dem Können Grolls, die zum Erfolg geführt haben. Dass der neuen Brauart ein solcher Erfolg beschieden sein würde, konnte natürlich trotzdem keiner voraussagen.

Wenige Wochen nach seiner Ankunft in Pilsen präsentierte Josef Groll sein neues Bier, das eine weltweite Revolution im Brauwesen auslösen sollte.

Jalowetz charakterisiert das Bier so:

„hellgelbe bis goldgelbe Farbe

angenehmer harmonischer Geschmack

kräftige edle Bittere

feiner Duft

leicht bekömmlich

angenehmes Hopfenaroma

vollmundig und süffig

erfrischende Wirkung“

 

und weiter:

„Jubel erscholl, als sich die Trinker von dem schneidigen, köstlichen, bei dem früher in Pilsen erzeugten nie wahrgenommenen Geschmack überzeugten.”

1842/43 wurden 3657 hl gebraut, 50 Jahre später waren es mit 460.000 hl schon etwa das 126fache!

Dem Siegeszug des Pilsener Urquells kamen auch die neuen Glaskrüge entgegen. Bier wurde bis dahin meistens aus Stein- und Holzkrügen getrunken, da kam es auf die Präsentation nicht so sehr an. Nun war es möglich, das goldgelbe Bier mit dem perfekten Schaum in seiner ganzen Pracht zu sehen.

Josef Groll, den „schwierigen Charakter“, hat man schon nach drei Jahren wieder verabschiedet. Ausschlaggebend war wohl, dass er nicht sparsam genug arbeitete, jedenfalls heißt es, dass sein Nachfolger die „vorteilhaftesten Bedingungen stellte und namhafte Ersparnisse zu erzielen versprach“ Den Siegeszug seiner Kreation hat Josef Groll als „Privatier“ im heimischen Vilshofen verfolgt. Auch seine ersten drei Nachfolger kamen aus Niederbayern. Der wohl wichtigste Brauer dieser Zeit war aber Jakob Blöchl, der 1852 zum Pilsener Braumeister ernannt wurde. In seine Zeit fielen der ständige Ausbau der Brauerei und die weitere Hebung der Qualität des Bieres. Blöchl war bis 1879 Chefbrauer und starb kurz nach seiner Pensionierung. Vor den Niederbayern wird die Plörre am Marktplatz verklappt, nach den Niederbayern ist das Bier weltberühmt.

 

Literaturverzeichnis

  1. Eduard Jalowetz, Pilsner Bier im Lichte von Praxis und Wissenschaft, Verlag: Institut für Gärungsindustrie, 1929.
  2. The History and Brewing Methods of Pilsner Urquell Divining the Source of the World’s Most Imitated Beer by Peter A. Ensminger Republished from BrewingTechniques‘ May/August 1997.
  3. Michael Jackson, Bier International. Hallwag 1994.
  4. W. D. Speckmann, Biere die Geschichte machten. Archiv Hopfen & Malz. Rattiszell 2005
  5. https://www.bayerischer-wald.de/Urlaubsthemen/Kultur-Kulinarik/Essen-Trinken/Wirtshaus-Bier/Josef-Groll-und-das-Pils
  6. Pilsner Urquell – die Revolution im Brauwesen :: Tschechien und Prag von A bis Z :: Informationsportal Tschechien Online http://www.tschechien-online.org/modules.php?name=Reviews&req=showcontent&id=545
  7. 21. August 1813: „Vater des Pils“ Josef Groll geboren | Das Kalenderblatt | Wissen | Bayern 2 | Radio | BR.de Freitag, 21. August 2015  Autor(in): Julia Devlin Sprecher(in): Johannes Hitzelberger Illustration: Tobias Kubald Redaktion: Frank Halbach
  8. Josef Groll – RegioWiki https://regiowiki.pnp.de/index.php/Josef_Groll
  9. Bill Bryson, Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge. 4. Auflage, 2010, Wilhelm Goldmann Verlag.
  1. Dr. Dietmar Kaltner, Neue Hopfenprodukte.pdf, Getränkeherstellung – 2005.
  2. Günther Hirschfelder, Manuel Trummer, Bier, Eine Geschichte von der Steinzeit bis heute, Konrad Theiss Verlag (WBG), 2016
  3. Mikuláš Teich, Bier, Wissenschaft und Wirtschaft in Deutschland 1800- 1914, Böhlau Verlag, 2000. Die Deutsche Bibliothek. Druck: A-1050 Wien, Manz Crossmedia.

 

Nürnberg, 11.11.2017

 

 

 

 

 

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